Geschrieben von
Dagmar Kelle , 30. August 2017

Hier können Sie die Predigt von OKR Dr. Christoph Vogel im Einführungsgottesdienst für den Vikariatsjahrgang 17/19 am 31. August 2017 in der St. Bartholomäus-Kirche in Berlin-Friedrichshain nachlesen.

 

Predigt zu Kol 4,6*

Es gilt das gesprochene Wort.

I.

„Die Gnade sei mit euch!“

Liebe Vikarinnen und Vikare des Jahrgangs 2017,
liebe Gemeinde zum Einführungsgottesdienst dieses Jahrgangs,

ein Vers aus dem Kolosserbrief steht im Mittelpunkt dieses Gottesdienstes. Der Vorgängerjahrgang, der für die Auswahl auch des für die Predigt zugrundeliegenden Textes verantwortlich ist, hat mir ausdrücklich aufgetragen, für die Predigt Kolosser 4, Vers 6 „sowie die umliegenden Verse“ zu berücksichtigen. Nun weiß ich zwar nicht, ob Sie soweit gehen würden, Vers 18b noch zu den umliegenden Versen hinzuzuzählen; ich tue das jetzt mal.

„Die Gnade sei mit euch!“ Der erste Satz dieser Predigt ist der letzte Satz des Briefes, sein Beschluss, danach folgt nichts mehr. Der Satz wird auch das Ende dieser Predigt bilden. Danach folgt nichts mehr – damit ist alles gesagt.

II.

Doch zunächst zu Vers 6: „Eure Rede sei freundlich/wohlmeinend und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.“

Ich gebe zu, der zweite Halbsatz erschlägt mich beinahe. Wie geht es Ihnen damit? „… dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.“ –

Es kann ja sein, dass Sie das schon immer mal können wollten – wissen, wie Sie einem jeden antworten sollen. Oder dass Sie genau das für absolut unmöglich halten. Dann, will ich mal keck sagen: Hören Sie auf Ihren Vorgängerjahrgang! Dann wissen Sie jetzt, was am Ende stehen wird! Trauen Sie der Ausbildung etwas zu! Sie werden ausgebildet, … dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt. – Auf jeden Fall wird es so sein, dass Sie sich in Situationen erleben, die Sie sich vorher nicht zugetraut haben. Und Sie werden Situation erleben, in denen Sie Antworten suchen, vorerst stammeln, sich schwören, nach einem Gespräch noch einmal an dieser Stelle theologisch nachzuarbeiten: Und doch wird Ihre gesuchte und gestammelte Antwort die Situation tragen.

Störend könnte in einer solchen Perspektive des Halbsatzes allein das Wörtchen „sollt“ wirken. Denn es heißt ja nicht: „wie ihr einem jeden antworten könnt“ oder „ob ihr einem jeden antworten braucht“: sondern „wie ihr antworten sollt“. Das klingt unangenehm, fremdbestimmt. Sollen klingt nach auswendig gelernte Schablone. Bei einem zu erbringenden Soll weiß man nie so richtig, wieviel er mit der Realität zu tun hat.

Folgt man dem Gedanken aber einmal probehalber, dann müsste es für eine solche verbindliche Soll-Vorschrift für Antworten an einen jeden ja eigentlich auch entsprechende Vorlagen geben. Sprich: es handelte sich um eine ziemlich ausgefeilte Kasuistik, wenn klar ist, wie auf die Fragen eines jeden geantwortet werden soll. Was für eine Überforderung!

Oder aber, es geht gar nicht um eine ausgefeilte Kasuistik, sondern ist ganz einfach: Es handelt sich nicht um eine Diversifizierungs- und Differenzierungsaufgabe, sondern es geht lediglich um eine einzige Antwort! Dann wäre jenes „wie ihr einem jeden antworten sollt“ auf einmal eine recht schlichte Übung! Womöglich würden Sie sich darüber sogar freuen, weil sich dann ja auch das zweite Examen sehr überschaubar gestalten kann – und sorgen müssten Sie sich höchstens um eine intellektuelle Unterforderung.

Überforderung und Unterforderung – beides wird Ihnen begegnen. Was für Sie neu ist, darin kennt sich womöglich Ihre Sitznachbarin schon aus. Und was Sie bereits mit einbringen, daran habe andere ordentlich zu knabbern. Insofern ruft der Halbsatz in eine kollegiale Anstrengung. Er ist ja auch gar nicht an einen einzelnen gerichtet: … dass DU weißt, was DU einem jeden antworten sollst. Sondern es geht um eine Gemeinschaft, im Kolosserbrief um eine Gemeinde, die gemeinsam in die Verantwortung gerufen ist.

III.

Das zentrale Bild von Vers 6 aber ist ein anderes: „Eure Rede sei freundlich/wohlmeinend und mit Salz gewürzt …“ Der Kolosser regt hier einen Blick in die Kulinarik an, in die Kochkunst. Sie hat sich als Bezugswissenschaft der Praktischen Theologie noch nicht hervorgetan. Aber schauen wir mal. Denn das Bild könnte ja als eine Art Rezept verstanden werden zum erfolgreichen Absolvieren der Bildungsanstrengung im Vikariat:

Mögen Sie lernen, eine schmackhafte Rede zuzubereiten, rhetorische Zutaten angemessen zu mixen, für Ihr Gegenüber eine mit Pointen gewürzte und in geeigneten Häppchen servierte Botschaft zu übermitteln, damit den Durst nach Gottes Wort zu stillen, und in alledem den Erweis erbringen, zum professionellen Teil des „Salz der Erde“ zu gehören!

Doch Bezugswissenschaften sind kritische Wissenschaften. So will ich dem kritischen Potential von Salz und Rezept mit Blick auf die Pastoral noch weiter nachgehen, und mir dazu die Orientierung bei einem Experten holen, denke ich; ich schlage den prominenten Starkoch Jamie Oliver vor.

In wissenschaftlich fragwürdiger Weise gebe ich also die vier Zutaten „Salz“, „Rezept“, „Jamie“ und „Oliver“ in den Googlemixer, drücke auf Los: und pling – schon kann ich Ihnen eine wunderbare Kostprobe servieren. Sie stammt aus der Rezension des Kochbuchs „Jamie Oliver: Jamies 30 Minuten Menüs“ aus einer ultraseriösen Tageszeitung:

„Sein neues Buch gibt Einblick in eine Küche voller Chaos und Unverstand. Wer so kocht, braucht keine Geschmacksverstärker mehr. … noch problematischer aber ist, was er den Produkten antut. Als hätte es nie die Regel vom Primat eines guten Produkts gegeben, das man gefälligst sorgfältig in Szene setzt, verhunzt er reihenweise die Produkte durch Unmengen von Salz, Pfeffer und andere kräftige Zutaten. … Falls der geneigte Leser in seinem weiteren Leben irgendwelche Fortschritte beim Kochen machen will und grundsätzlich in der Verfeinerung der Realien eine kulinarische Qualität sieht, sollte er sich diese Art des Kochens auf keinen Fall zum Vorbild nehmen.“

Ein Volltreffer! Es geht um Rezepte. Es geht um den Primat des Produkts, das ja in der Theologie keine Frage ist. Es geht um „Fortschritte“, also doch um Ausbildung! Allerdings wird die hier sehr kritisch gesehen. Eine an dieses Zitat angelehnte pastoralkulinarische Kritik könnte so klingen:

„Falls der geneigte Vikar / falls die geneigte Vikarin in ihrem weiteren Leben irgendwelche Fortschritte beim Predigen / Bilden / Seelsorgen / Führen und Leiten machen will, sollte er / sie sich diese Art auf keinen Fall zum Vorbild nehmen.“

Nun kann man über das hier nicht genannte Vorbild wild phantasieren. Aber wehe, Sie denken etwa an Studienleiter oder Mentorinnen! Nicht, dass die etwa antworten: „… viel problematischer aber ist, was der Vikar / die Vikarin den Versen antut. Als hätte es nie die Regel vom Primat eines biblischen Textes gegeben, den man gefälligst sorgfältig in Szene setzt, verhunzt er reihenweise die Verse des Predigttextes durch Unmengen von Sätzen wie Salzlauge, pfeffrigen Zutaten und anderen kräftigen Bildern.“

Sie merken: Die Pastoralkulinarik lohnt sich unbedingt, vertieft in die Forschung mit einzubeziehen! Aber im Ernst: Schön wird durch diesen kleinen Ausflug die Gradwanderung zwischen Anregung und Aneignung unterstrichen. Manches werden Sie kritisch ansehen und anderes schlicht ausprobieren. Das ist auch richtig, denn Sie machen sich auf den Weg, eine eigene pastorale Existenz einzuüben. Dieser Weg wird mit der Ausbildung nicht abgeschlossen sein, im Gegenteil: Am Ende der Ausbildung werden Sie Handwerkszeug besitzen und eine Haltung eingeübt haben, um Ihrem spezifischen Verhältnis von Person und Profession Gestalt geben zu können und diese immer weiter zu entwickeln.

IV.

Das Bildwort und überhaupt der ganze Satz hat in der Gemeinde in Kolossä offenbar weniger Mühe bereitet, als ich diese jetzt hier zelebriere. Auch späteren Briefleserinnen und -lesern war das Rezept des Kolosserbriefs offenbar sonnenklar. Denn der gesamte textkritische Apparat zeigt an diesem Teil des Briefes keinerlei Verunsicherung oder Varianten. Und es ist vor Vers 6 auch denkbar schlicht und eindrücklich formuliert:

„Seid beharrlich im Gebet …“ – ohne dem funktioniert auch kein Vikariat.
„… betet zugleich auch für uns …“ – Gebet ist immer zugleich Gebet füreinander!
„… verhaltet euch weise …“ – immerhin ein guter Anspruch!
„… kauft die Zeit aus …“ – es klingt alles sehr viel: das halbe Jahr Schule, die Wochen im Predigerseminar, in den regionalen Kursen, sechs Wochen Seelsorge, zwei Jahre in einer Gemeinde! Und doch wird die Zeit dahinrasen. Ehe Sie es sich versehen, sind Sie mittendrin. Kaufen Sie die Zeit aus, nutzen Sie die Möglichkeiten, die Ihnen mit dem Vikariat gegeben sind!

In der Exegese des Kolosserbriefes wird darüber diskutiert, ob diese Verse gerade den Unterschied des Christentums zu „antiken Mysterienreligionen“ (Maisch) markieren sollen, indem sie sich nach außen wenden, die Weltverantwortung betonen, den gesamten Kosmos als Gegenüber der Gemeinde aufrufen und sich nicht mit sich selbst begnügen. Das „Geheimnis, das verborgen war seit ewigen Zeiten“ ist nun allüberall offenbart (1,26f). „Es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen“ (1,16) und deshalb gibt es NIEMANDEN, für den Gott egal wäre, und deshalb hat JEDERMANN einen Anspruch auf Antwort von denen, „die da draußen sind“ (4,5).

Gewiss, Sie treten im Vikariat in eine Auseinandersetzung mit sich selbst, Sie werden an sich arbeiten. – Und doch geschieht dies für einen Beruf, der kein Selbstzweck ist. Er steht im Dienst Gottes und der Menschen. Er hat Gottes Wort im Rücken und den anderen vor Augen. Und genau deshalb: „Die Gnade sei mit euch!“ (4,18) So endet der Brief, darin sieht er in aller Unter- und Überforderung, in aller kritischen Auseinandersetzung und in aller schlichten Anwendung, in jeder Zuwendung zu denen, „die da draußen sind“ das Wichtigste, was noch gesagt werden kann. Es unterstreicht, dass das Wesentliche nicht in den eigenen Händen steht.

Zu spüren, wie wir es trotz aller guten Vorbereitung und bestmöglichen Planung nicht in der Hand haben, dass die Antwort, die wir uns zu geben bemühen, auch beim anderen ankommt. – Zu merken, dass für den anderen etwas groß und wichtig geworden ist, das in der eigenen Perspektive nur ein Nebenaspekt gewesen ist. – Und also zu erleben, dass und wie Gott durch die eigene Person wirkt und sie in Anspruch nimmt, gehört zu den Momenten im Pfarrdienst, die zugleich erhaben sind und demütig machen.

Dazu eine letzte kurze Beobachtung aus einem „umliegenden“ Vers. In Vers 16 werden die Kolosser gebeten, den Brief aus der Hand zu geben, ihn weiterzureichen nach Laodizea. Stellen Sie sich bitte diese Situation vor: was für eine Demut gegenüber einem Text, für den Exegeten heute alles tun würden, um ihn zu besitzen oder zumindest im Original studieren zu können! Was für ein Anliegen an die Gemeinde in einer Zeit ohne Scan oder Kopierer! Selbst der Brief ist kein Selbstzweck. Er selbst ist „Antwort für jedermann“. Träger der Gnadenzusage.

Heute reicht mit seiner Auswahl der Vorgängerjahrgang diese Zusage an Sie weiter. Der Segen gleich zu Ihrer Einführung bekräftigt dies. Für Ihren Dienst ist damit alles gesagt. Und deshalb:

„Die Gnade sei mit euch!“

 

Predigttext: Eure Rede sei allezeit wohlklingend und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.

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