Geschrieben von
Bianca Krüger , 3. Dezember 2020

Erstes Examen: Andacht von Dr. Christoph Vogel zur Zeugnisausgabe im November 2020

Willkommen!

Ab und an kommt es vor, dass die Ausgabe der Zeugnisse zum ersten Examen in die vorletzte Woche des Kirchenjahres fällt – die mit dem Wochenspruch eine ganz eigene Assoziation zum Examen herzustellen in der Lage ist: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi“. Auch wenn das eschatologische Bild des Richters eine Prüfungssituation beschreibt, so doch eine existential andere als jene, die Sie bis vor zwei Wochen zu bewältigen hatten.

In eine Chorprobe möchte ich Sie mit hineinnehmen am Tag Ihrer Zeugnisausgabe. Wir sitzen ja auch fast wie im Chor – in kleiner Runde, Halbkreis, nur die Stimmen sind nicht sortiert. Weil es nicht um diesen Chor geht, den wir heute darstellen. Und genau genommen auch nicht um einen Chor, sondern um einen Chorleiter, nämlich des Chorleiters unseres ESG-Chores in Heidelberg. Und noch genauer geht es um einen Satz, den er jedes Mal sagte, wenn wir im Chor ein neues Stück einzuüben hatten. Dann begann die Probe mit dem Satz:

„Beginnen wir mit dem Schlussakkord!“ Anfangen mit dem Ende. Mit dem Schlussakkord eines Chorstücks, mit den letzten Takten. Die gehörten für unseren Chorleiter neben den besonders schwierigen Passagen zu jenen, die er besonders intensiv üben ließ. Deshalb stellte er sie gleich an den Anfang der Probe. Und auch kurz vor der Aufführung wurden diese Passagen noch einmal gesungen. Das könnte zunächst nach einer merkwürdigen Idee klingen, vielleicht sogar ein wenig nach Langeweile: Mit dem Schluss beginnen. Den letzten Akkord schon zum Beginn hören. Das ist ja, wie die letzte Folge der letzten Staffel schon zu kennen, die letzten Seiten eines Buches zuerst zu lesen; den Ausgang einer Wahl schon sicher zu wissen; das Rätsel mit der Auflösung zu beginnen. „Hör auf zu spoilern!“, würden unsere Kinder sagen. Wo bleibt da der Thrill, das Interessante, die Spannung?

Sie, die sich gerade durch die Prüfungen zum Ersten Theologischen Examen erfolgreich hindurchgearbeitet haben, könnten zu dieser Haltung allerdings eine andere Meinung haben: Wer eine Prüfung – egal ob schriftlich oder mündlich – absolviert hat, kann gewiss gut nachvollziehen, was daran positiv ist, den Ausgang einer Sache schon zu kennen. Es wäre möglicherweise sogar befreiend und entängstigend, schon im Vorhinein das Ergebnis zu kennen! Manche Fragen von Prüferinnen oder Prüfen, manches Schwitzen und manche Lernanstrengung ließe sich wesentlich besser ertragen!

Und auch jetzt in der Pandemie wäre wohl manches leichter zu ertragen, wenn das Ende schon bekannt wäre, die Sehnsucht nach Normalität ein Ziel hätte, das Datum, wenn die Masken fallen dürfen.

Mit dem Schlussakkord beginnen. Das Ende schon kennen. Das lässt sich als weit mehr verstehen denn als bloß clevere Übungsstrategie eines Chorleiters: Denn Gott selbst hat den Schlussakkord bereits angespielt, rollt das Stück von hinten auf. In Jesus Christus hat er den letzten Ton schon einmal gezupft. Gott will ja gar kein großes Geheimnis vom Ende machen. Wir sollen wissen, dass er für seine Schöpfung einen Schlussakkord – seinen Schlussakkord! – bereit hält: Die Melodie dieser Welt wird in seine Verheißung eintauchen.

„Beginnen wir mit dem Schlussakkord!“ – ist zugleich ein Satz unseres Glaubens! Weil er uns am Ende der Tage schon teilhaben lässt. Weil er ein Contrapunkt zum Weltgeschehen ist. Weil das theologische „Spornen“ der Grund der Hoffnung ist. Und diese Hoffnung auf das Kommen Gottes garantiert, dass wir nicht in der Perspektive der Welt gefangen bleiben, sondern Grundlage für einen anderen, einen heiteren, einen neuen Blick haben.

So wie Sie jetzt, nach der Arbeit im und an dem Examen, nach den bestandenen Prüfungen, da Sie das Ende auch vom Examen kennen, gewiss wieder heiter, wieder neu auf Ihren Lebensalltag blicken!

Unser Chorleiter sagte als Begründung für seinen Auftaktsatz: „Wenn wir uns auch noch so schlecht zwischendrin präsentiert haben, so wird dann doch der Abschluss gelingen. Und so werden uns die Zuhörer gut in Erinnerung behalten.“ Vielleicht wird das auch Ihre Perspektive auf das Examen und auf den Weg Ihres Studiums: dass Sie gut und als gut „in Erinnerung“ behalten. Denn jetzt, nach dem Studium kommt etwas Neues, ist ein nächster, ein neuer Schritt vonnöten, eine neue Phase.

„Himmel und Erde werden neu, nichts bleibt, wie es ist. Himmel und Erde bekommen ein neues Gesicht.“ – das singen wir gleich gemeinsam. Auch ein Lied vom Ende des Kirchenjahres. Es passt doch ziemlich gut, wenn die Zeugnisausgabe zwischen Kirchenjahresende und Adventszeit fällt!

Nachbemerkung: Es ist gut, es ist erleichternd und es ist theologisch tiefgründig, den Schlussakkord schon am Beginn zu kennen. Einen echten Schlussakkord spielt heute Frau Kuhn auf: Nach 6 Jahren, 12 Andachten zur Zeugnisübergabe und mindestens 83 ausgestellten Zeugnissen, ist dies heute die letzte Andacht, für die Sie immer so freundlich den Rahmen organisiert haben.

Ein herzlicher Dank an dieser Stelle pars pro toto für alle, die hier im Raum einmal Andacht gefeiert haben, und die Sie bis zum Examen ermutigt, getröstet, begleitet hatten!

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