
Diese 25 Vikar:innen beginnen am 1.9.2022 ihr Vikariat in der EKBO, also die Ausbildung für den Pfarrberuf. Das ist wunderbar! Wir freuen uns und wünschen ihnen Gottes Segen für die Zeit in der Schule, in der Gemeinde und in der Seelsorgeausbildung! Bei einem feierlichen Gottesdienst wurden sie eingesegnet. Thema des Gottesdienstes waren die Bienen und Predigttext war: „Denn die Biene ist klein unter allem, was Flügel hat, und bringt doch die allersüßeste Frucht.“ – aus dem Buch Jesus Sirach (11,3). Jede:r bekam ein Glas Honig von unseren Konsistoriumsbienen und eine gebastelte Biene mit einem beflügelnden Segen. Hier ist die Predigt von Dr. Christoph Vogel, dem Leiter der Ausbildungsabteilung zum Nachlesen:
Vikarseinführung, 31.08.2022, Sir 11,3
Christoph Vogel
Ein weises Wort, einen Satz aus der Weisheit, hat der Vorgängerjahrgang für Sie zum Beginn Ihres Vikariates ausgewählt. „Denn die Biene ist klein unter allem, was Flügel hat, und bringt doch die allersüßeste Frucht.“ Buch Jesus Sirach (11,3).
I.
Möglicherweise löst dieser Vers und dessen Wahl bei Ihnen spontan eine gewisse Anspannung und womöglich sogar ansatzweise erschrockenes doppeltes Nachfragen aus: Jesus Sirach!?? Um Himmels willen, muss ich den auch kennen? Hilfe! Mit dem habe ich mich bislang wirklich nicht so beschäftigt – brauche ich im Vikariat auch die Apokryphen? Oder etwa im 2. Examen?
Und sodann: „Biene“!! Ja, nett! Maja, Willi – und wie die Bienen alle heißen. Aber wo ist da Gott in Vers? Wo sehe oder höre ich das geistliche Wort, den Zuspruch für das Kommende in Schule und Gemeinde? Kriege ich das noch? Brauche ich das nicht?
II.
„Die Biene ist klein unter allem, was Flügel hat“ –vielleicht so klein, wie wir uns manchmal fühlen. Vielleicht so klein, wie wir unser Wissen und unsere Kenntnisse einschätzen, angesichts einer Situation, die Größeres von uns zu erwarten scheint. Vielleicht so klein, wie Sie sich angesichts der Aufgabe fühlen, die vor Ihnen liegt: Schule zuerst – wie soll ich unterrichten, eine angemessene Sprache finden, mich im Lehrer:innenkollegium bewegen, wie vor allem vor und mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten? Oder in der Gemeinde: Werde ich in der Gemeinde den Situationen, den Gesprächsanliegen an mich standhalten? Werde ich die richtigen Worte finden? Werde ich die vielen neuen Themenfelder lernen können? Werde ich meinem pastoralen Selbstverständnis auf die Spur kommen?
III.
„Du sollst niemand rühmen um seiner Schönheit willen“, beruhigt Jesus Sirach. Nicht rühmen um der Schönheit des Selbstbewusstseins willen, noch um der Schönheit der Auftrittssicherheit, nicht um der Schönheit des enzyklopädischen Wissens willen. Jesus Sirach blickt genau auf das, was unscheinbar ist, auf das, was sich verstecken will, das, was noch unsicher hervorlugt oder sich nicht hervortraut. „Niemand verabscheue einen Menschen wegen seines Aussehens“, niemand einen Gedanken, der noch nicht vollendet ist, oder einen Versuch, der scheitert, oder einen Satz, der unvollendet bleibt. Die Worte von Jesus Sirach können und sollen Sie entlasten davon, schon jetzt alles wissen zu müssen, alles zu können, alles perfekt machen zu müssen. Sie dürfen ausprobieren, sie dürfen etwas wagen, etwas versuchen. Die Worte von Jesus Sirach relativieren alle Maßstäbe, weil sie auf den einen Maßstab hin orientieren: „Wunderbar sind allein die Worte des Herrn“ – und damit ist wunderbar alles, was Gott selbst in sehr unterschiedlicher Weise schenkt.
Jesus Sirach fordert nahezu gerade dazu auf, nach dem Wunderbaren Ausschau zu halten: in dem, was Gott Ihnen, persönlich, mit Ihren Gaben, geschenkt hat. In dem, was er Ihnen an Erlebnissen und Möglichkeiten schenken wird, und den Aufgaben, die er ihnen zuteil lassen wird, vor die er sie stellen wird. Und zu dem natürlich gehört, das Wunderbare nicht nur bei Ihnen, nicht nur bei sich, nicht nur reflexiv zu suchen. Sondern auch und vor allem in den Lebensspuren und Eigenarten der anderen entdecken: Wunderbares schenkt Gott jedem Menschen: Den SuS, den Menschen in der Gemeinde, Ihren Vikarskolleg:innen, Ihren Mentor:innen.
IV.
Nehmen Sie das als erstes Wort von Jesus Sirach: das Kleine wie das Große, das Unscheinbare wie das Hervorstechende, Stärken wie Schwächen sind relativiert durch Gottes Geschenk des Wunderbaren. Und Sie treten an, sind Entdecker:innen des Wunderbaren, meinetwegen wie Bienen auf der Suche nach Blütenstaub, um dieses Wunderbare für und bei anderen zur Sprache zu bringen, dem Surren und Summen des Geistes Gottes nachzuhören und zu –spüren, und das beim Namen zu nennen, damit auch andere die wunderbaren Werke Gottes erkennen können!
Das war das erste, was ich Ihnen auf das vermutete Fragen hin sagen wollte: Müsste ich die Weisheit kennen? Jesus Sirach ist „gut und nützlich zu lesen“, aber die Weisheit Gottes, sein wunderbares Werk, die müssen Sie kennen lernen, ihr nachspüren, es versuchen und wagen, Worte und Ausdrucksformen zu finden: Dafür sind Sie als Geistliche da, als künftige wie schon als werdende!
V.
Und damit haben Sie womöglich auch schon einen Zuspruch, eine geistliche Orientierung gehört, die unter und hinter dem Weisheitswort von Jesus Sirach liegt. Die Weisheit will ja gar nichts anderes als auf Gott zu verweisen: Nahezu jeder einzelne Vers der biblischen Weisheitsbücher ist durchdrungen von der Gewissheit, dass sich die Gottesfurcht, der Glaube, in einem konkreten beschreibbaren Handeln äußert, Segen wirkt. Gottesfurcht, Glaube, ist sichtbar in der Haltung und im Handeln eines Menschen.
VI.
Somit kann ich mich in meinem zweiten Gedankengang voll und ganz auf die Biene konzentrieren. Das muss ich auch – denn eine Biene ist ja nicht nur klein und mit anderen Arten – Wespen, Schwebwespen, was auch immer noch gelb und schwarz ist – verwechselbar und damit (zumindest für Unkundige) leicht zu übersehen. Sondern, wie wir inzwischen ökosensibel gelernt haben: Es gibt auch störend wenige Bienen. Dabei sind Sie für das Ökosystem von zentraler Bedeutung! Ich zitiere einmal von der Seite „nearbees“: „Bei Honigbienen denkt man, der Name legt es ja auch nahe, zuerst an Honig. Aber die wichtigste Leistung der Biene ist eigentlich eine andere: die Bestäubung unserer Natur. Auf der Suche nach Nektar und Pollen fliegen Bienen emsig von Blüte zu Blüte und sorgen ganz nebenbei für deren Bestäubung. … Mit anderen Worten: ohne Bienen keine Früchte! In Deutschland wird der Wert dieser Bestäubung auf etwa 2 Milliarden Euro geschätzt, was die Biene zum drittwichtigsten Nutztier nach Schwein und Rind macht. Bedenkt man jedoch, dass ohne Bienen die Erträge in der Landwirtschaft und mittelfristig die gesamte natürliche Artenvielfalt rapide zurückgehen würden, ist ihr Stellenwert sogar weitaus höher einzustufen.“
Dieser ermittelte Wert – 2 Milliarden und höher! – wäre wohl ganz im Sinne von Jesus Sirach, ganz im Sinne der von ihm vertretenen Umkehrung der Werte: Schaut mal, wie unscheinbar dieses Tier ist – und wie wertvoll! Wie klein – und wie groß seine Bedeutung! Es ist eine gedankliche Logik, wie sie typisch ist für die Weisheit: Kleines ist nur scheinbar klein, Großes nur anscheinend groß. Damit wird eine fundamentale Umkehrung der Werte vorgenommen, ein elementar kritischer Blick auf jede Machtposition geworfen, stetig alles Fertige, alles Abgeschlossene hinterfragt. „Der Geringe sitzt mitten unter den Fürsten. / Herrscher wurden entehrt. / Tyrannen sitzen im Staub.“
VII.
Diese Grundhaltung der Umkehrung der Werte ist typisch für die Weisheit, weil sie typisch ist für die Bibel; Sie kennen das:
- „Er war der allerverachteste und unwerteste“ (Jes 53, 3);
- Bethlehem, das „klein ist unter den Völkern“ (Mi 5,1), wird erwählt;
- die Niedrigen erhebt er (Lk 1, 52);
- es sind wenige Brote und Fische angesichts von 5.000 hungrigen Menschen;
- in der Krippe kommt Gott zur Welt –wo man auch hinschaut, folgt Gottes Handeln dieser Logik: nur senfkorngroß muss der Glaube sein und wird doch ein gewaltiger Baum. Im Kleinen, im Verachteten, im Übersehen versteckt sich die ganze Welt.
„Das Geringe vor der Welt hat Gott erwählt.“ (1 Kor 1,28) Wer sich für fertig hält, verfehlt genau das Ziel, das er:sie meinte, erreicht zu haben. Gottes Logik ist ein fundamentaler Einspruch in die Logik der Welt: Das Gebet für den Frieden ist bereits dessen Sonnenaufgang. Im Eintreten für Gerechtigkeit beginnt sich, deren Spur zu bilden. Die Rede vom wunderbaren Handeln Gottes, vom Glauben, ist schon dessen Samen.
VIII.
Wenn also vom „Geringen“, vom „Kleinen“ die Rede ist, dann könnten Sie sich mit Blick auf Ihren Ausbildungsweg vorerst an dieses klammern und ggf. mit dem Liedvers trösten: „Alles muss klein beginnen … (lass etwas Zeit verrinnen und plötzlich wird es groß.“) Das stimmt ja nun auf jeden Fall: was auch immer Sie für Gaben mit einbringen und eintragen – Pfarrerin oder Pfarrer zu werden ist auch eine Frage des Lernens, des Übens, des Trainierens, des Erfahrung-Sammelns, des Ausprägens und Ausbildens, sprich: aus Kleinem Großes werden lassen. Das ist aber nur die eine Seite des Kleinen.
Die andere Seite ist das, was klein bleibt: das Wort, das wir finden und stammeln, und von dem wir hoffen, dass es trägt. Die Zuwendung, die wir wagen, und auf die wir vertrauen, dass sie hilft. Die Barmherzigkeit, die wir bezeugen, und von der wir glauben, dass sie gut tut. Am Ende hat das pastorale Amt nicht mehr in der Hand als hoffen, vertrauen, glauben, sich offen halten für das, was Gott schenkt. Kleiner geht es eigentlich nicht. Es lässt sich auch sehr rasch als gering abtun – und auch zu solcher Einschätzung gilt es, ein Verhältnis zu finden: zu wissen, es mag wohl ein Kleines, ein Geringes sein: aber sich nicht mit dem Geringen zufrieden zu geben: Aus der schlichten Idee des Pfarrehepaars in Steglitz in der Nacht vom 24. zum 25.2., wir, unsere Gemeinde, muss etwas für die ukrainische Flüchtlinge machen, die gewiss bald kommen werden, ist eine überwältigende Arbeit entstanden. Aus dem Gedanken zwischen Pfarrer und Bürgermeister, wir bräuchten hier eigentlich eine evangelische Schule, konnte am Samstag in Pritzwalk eine evangelische Grundschule eröffnet werden. Aus der Ahnung und dem Unternehmer:innengeist von einigen Pfarrerinnen, wir können so doch nicht weitermachen, wir müssen da doch mal anders an Kasualien und vor allem an die Menschen herangehen, ist das Projekt Startbahn geworden – mit enormer Innovationskraft.
„Denn die Biene ist klein unter allem, was Flügel hat, und bringt doch die allersüßeste Frucht.“
IX.
Bienen vernetzen sich. Wenige Tiere bilden eine solch starke hochsoziale Gemeinschaftsform wie die Honigbiene. Nur gemeinsam können sie ihr Werk verrichten. Bienen stehen füreinander ein. Jede einzelne steht unter dem Schutz des gesamten Baus und trägt das Ihre zu dessen Aufbau und Erhalt bei. Bienen geben nicht auf. Ihr unscheinbares Werk ist unendlich wertvoll für die Welt – irgendwo muss es ja beginnen, das Land, in dem „Milch und Honig“ fließen. Machen Sie sich auf den Weg als Entdecker:innen und Verbreiter:innen der wunderbaren Taten Gottes! Tragen Sie den Pollenstaub der Hoffnung, des Vertrauens, des Glaubens von einer menschlichen Blüte zur anderen! Ihnen allen einen guten Flug: Die Welt braucht Sie!