Geschrieben von
Bianca Krüger , 21. Januar 2020

Im Rahmen des Vikariats können unsere Vikar*innen und Vikare ein Projekt planen und durchführen. Wir stellen euch das Projekt Ein geschenkter Tag – 24 Stunden innehalten von Günter Hänsel in der Johanneskirche Frohnau, Zeltinger Platz 18, 13465 Berlin-Frohnau vor.

 

Günter Hänsel (*1993) ist Vikar der Ev. Kirchengemeinde Frohnau. Nach seinem Studium der Ev. Religions- und Gemeindepädagogik (M.A.) an der Ev. Hochschule Berlin begann er im Jahr 2018 das Vikariat in der EKBO. Zu Themen und Fragestellungen in dem weiten Feld christlicher / evangelischer Spiritualität arbeitet er schon seit vielen Jahren.

 

Bianca Krüger:  Was hat Sie dazu veranlasst den Menschen einen ganzen Tag zu schenken?

Günter Hänsel: Zum einen: In Gesprächen mit Menschen und dem Lesen von gegenwärtigen Gesellschaftsanalysen, wie denen von dem Soziologen und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa, dem Soziologen und Kulturwissenschaftlicher Andreas Reckwitz und dem Philosoph Byung-Chu Hun, nehme ich wahr, dass die gegenwärtige Zeit durch enorme Beschleunigung, dem Zwang zum Schneller, Weiter und Größer sowie dem Zwang zur Selbstverwicklung, geprägt ist.

Ich nehme eine große Sehnsucht nach Stille und Ruhe wahr. Der Drang zum immer Schneller, Weiter und Mehr erschöpft viele Menschen. Der Soziologe Alain Ehrenberg spricht vom „erschöpften Selbst“. Überforderung und Überanstrengung lassen sich als Risiken des gegenwärtigen Lebensstils benennen. Der gegenwärtige Lebensstil ist von einer Logik der Besonderheit, der Singularität, wie der Soziologe Andreas Reckwitz diese bezeichnet, geprägt. Gemeint ist damit eine Lebensweise, in der der Mensch nach einem glücklichen und authentischen Selbst strebt und dies natürlich in einem erlebensreichen und erfolgreichen Leben versucht darzustellen. Das Leben wird danach befragt, ob es in all seinen Möglichkeiten genutzt wird und vor allem, ob es das Ideal der Selbstentfaltung erfüllt. Menschliche (unverfügbare) Erfahrungen und Gefühle von Zerrissenheit, Scheitern, Zweifel, Verlust und Krankheit haben es sehr schwer, denn sie werden dem Urteil unterzogen: Habe ich wirklich genug gemacht? Hätte ich mehr für meine Gesundheit machen sollen? Hätte ich mehr vorsorgen sollen? Hätte ich mich mehr anstrengen sollen? Was habe ich falsch gemacht? Endlose Fragen, die nie aufhören.

Ich bin deshalb davon überzeugt: Das Leben braucht Zeiten der Stille und der Unterbrechung – Freiräume! Zeiten des Innehaltens, des Hörens und Schweigens sind zweckfreie und leistungsfreie Räume. Das Leben kann in einen weiten Horizont gestellt werden und den verschiedenen Fragen, Erfahrungen des Lebens und ambivalenten Gefühlen, die sonst vernachlässigt werden oder gar verdrängt werden, wird ein Raum gegeben.

Zum anderen: Mich treibt die Vision einer spirituellen und hörenden Kirche an. Kirche als ein Ort der Stille, der Ruhe und des Schweigens. Als Christ bewegt mich die Sehnsucht, wie sie Gerhard Tersteegen ausdrückt: „Gott ist gegenwärtig… Gott ist in der Mitte… Alles in uns schweige.“ Räume zu eröffnen und Formen einzuüben, in denen Menschen von der Gegenwart Gottes, von der Liebe Gottes, berührt werden. Räume der Absichtslosigkeit – darum geht es!

Der 29.02.2020 ist im Schaltjahr 2020 ein sog. „Geschenkter Tag“. Dieser Tag ist eine wunderbare Möglichkeit, innezuhalten und danach zu fragen, aus welchen Quellen wir schöpfen und was unserem Leben Halt gibt.

 

Bianca Krüger: Was ist das Ziel dieser Veranstaltung und was versprechen Sie sich davon?

Günter Hänsel: Leitend ist für mich, dass die 24 Stunden in der Johanneskirche Frohnau zu einem Kraftort geistlichen Lebens werden. Die Menschen können während der 24 Stunden kommen, verweilen, weiter gehen oder zu einem späteren Zeitpunkt am Tag wieder kommen.

Freiräume zum Innehalten, für Stille und dem Entdecken von spirituellen Ritualen und Übungen prägen die 24 Stunden. Die christliche Tradition hält einen reichen Schatz an spirituellen Formen bereit. In diese Formen und Übungen werden die Referent*innen des Tages einführen. All diese Formen sind Wege in die Stille und sie verbinden sich mit der Sehnsucht, in der Stille Gott nahe zu sein. Doch diese Erfahrung lässt sich nicht erzwingen, produzieren oder gar herstellen, sondern sie ist unverfügbar. Ich empfehle Haltungen des Sich-Lassens, des Verweilens, der Hörens und des Sich-Vergessens.

 

Bianca Krüger: Das Programm ist sehr vielseitig. War es schwierig, das alles neben dem Vikariat zu organisieren? Haben Sie Unterstützung erhalten?

Günter Hänsel: Als Vikar*innen haben wir die Möglichkeit, im Rahmen des Vikariats ein Gemeindeprojekt zu planen und durchzuführen. Diese Möglichkeit finde ich fantastisch! Während der Planung, Durchführung und Reflexion werden wesentliche Fähigkeiten und Fragestellung für die spätere pfarramtliche Praxis eingeübt und bedacht, wie z.B. Visionen entwickeln, Teamarbeit einüben, Öffentlichkeitsarbeit und Finanzierungsfragen zu bedenken und vieles mehr. Also ein Rund-Um-Paket an theologischen, pastoraltheologischen und gemeindepädagogischen Fragestellungen und Haltungen zum Einüben, Erproben und Finden.

Das Projekt habe ich gemeinsam mit einem großen Team entwickelt. Die verschiedenen Kompetenzen und Denkrichtungen der Teammitglieder bringen wunderbare Impulse in die Konzeption ein. Dafür bin ich sehr dankbar!

Die Planung eines Projektes ist natürlich sehr zeitintensiv. Durch ein gute Organisation meinerseits und durch die sehr gute Zusammenarbeit mit meiner Mentorin, Pfarrerin Dr. Elisabeth Roth, habe ich  einen guten Projekt- und Zeitplan entwickelt. Der evangelischen Kirchengemeinde Frohnau bin ich für die Unterstützung sehr dankbar!

 

Bianca Krüger: Was ist Ihr persönliches Highlight der Veranstaltung?

Günter Hänsel: Diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten: Ich freue mich persönlich auf die verschiedenen spirituellen Formen des Betens, des Singens und des Schweigens. In der Nacht „einfach da sein“, im Kerzenschein zu verweilen und Ausschau zu halten nach Gott, von dem wir alle schon Gefundene sind. Darauf freue ich mich.

 

Das Programm zum Tag und weitere Informationen finden Sie hier:

https://www.kirchenkreis-reinickendorf.de/blog/46594/-ein-geschenkter-tag-24-stunden-innehalten-vom-29.02.-bis-01.03.

https://www.ekg-frohnau.de/blog/45447

 

Vielen Dank für das schöne Interview!

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