Jennifer Krumm ist Vikarin der EKBO und absolviert ihr Vikariat an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel und in der Evangelischen Kirchengemeinde Elberfeld-West. Vom 08. bis 14. Januar 2018 war auf www.twitter.com/deineekbo mitzulesen, was #vikarinnensomachen. Hier lesen Sie, was Vikarin Krumm am Sonntag, den 14. Januar, in Wuppertal-Elberfeld gepredigt hat:
Es gilt das gesprochene Wort.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im ersten Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth im 2. Kapitel:
1 Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen. 2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. 3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, 5 auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. 6 Von Weisheit reden wir aber unter den Vollkommenen; doch nicht von einer Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. 7 Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8 die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9 Sondern wir reden, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« 10 Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.
I
Eigentlich, denkt Paulus, ist seine Aufgabe ganz einfach. Also, abgesehen davon, dass sie manchmal unendlich hart ist, so hart, dass er am liebsten alles hinwerfen würde, wenn er könnte. Aber die Botschaft, die ist eigentlich ganz einfach: Jesus Christus, der gekreuzigt worden ist, ist Gottes Sohn und in ihm ist das Heil für alle, für Juden und für Nichtjuden. Das ist alles, mehr hat er nicht auszurichten. Und dann glauben sie es. Oder sie glauben es nicht.
Paulus fragt sich oft, woran es liegt, was den Ausschlag dafür gibt, ob die Menschen seine Botschaft annehmen oder ob sie den Kopf schütteln, darüber lachen oder ihn sogar verprügeln. Er kann da kein Muster erkennen. Sicher, es sind nicht viele Weise, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme unter denen, die sich haben überzeugen lassen. Philosophen, Intellektuelle tun sich schwer mit der Idee, dass ein allmächtiger Gott in einem schwachen Menschen zur Welt gekommen sein soll. Die Mächtigen und Reichen fühlen sich eher provoziert durch die Botschaft von einem Messias, der als Aufrührer hingerichtet wurde und zuvor Reichtum und Besitz kritisiert hat.
Aber es sind auch nicht nur die Underdogs und Ausgestoßenen der Gesellschaft. Die sind im Gegenteil sogar relativ schwer zu erreichen. Sie haben gelernt, misstrauisch zu sein gegenüber allen Erlösungsversprechen und sie sind zu sehr mit dem blanken Überleben beschäftigt.
Sind es also die besonders gutgläubigen Menschen aus der Mittelschicht? Die, die besonders empfänglich sind für religiöse Trends und spirituelle Moden? Nein, die sind es eigentlich auch nicht. Sie empfinden die Botschaft des Paulus oft genug als intolerant und als zu wenig offen gegenüber den anderen Göttern und Kulten.
Wer sind also die Leute, die mit dieser Botschaft etwas anfangen können, ja deren Leben sie verändert? Es sind Männer und Frauen, Freie und Sklaven, Arme und zumindest weniger Arme, Juden und Nichtjuden. Da kann man wirklich kein klares Muster erkennen. Was ist es also, das diese Menschen zum Glauben bringt, fragt sich Paulus. Im Grunde kann das nur der Geist Gottes selber sein.
II
„Ist ja klar, immer, wenn du nicht mehr weiterweißt, kommst du mit dem Heiligen Geist um die Ecke.“, ruft der Philosophiestudent lachend. Er muss ein bisschen brüllen, die Musik ist ziemlich laut im Partykeller.
Tatsächlich ist das keine besonders gute Argumentationsstrategie, muss der Theologiestudent insgeheim zugeben. So betrachtet, fände er das selbst auch nicht besonders überzeugend. Fragen nach der Wahrscheinlichkeit der Existenz eines Gottes kann man logisch kohärent durchdiskutieren und am Ende müssen in der Regel beide Seiten zugeben, dass man weder die Existenz noch die Nichtexistenz Gottes beweisen kann. Und dann wird es auch irgendwann langweilig und man kann sich wieder seinem Bier zuwenden oder dem Kickertisch oder zumindest anderen Gesprächsthemen.
Aber die bloße Möglichkeit der Existenz eines Gottes ist es ja eigentlich nicht, worum es ihm in solchen Diskussionen geht. Es geht ja um viel mehr in seinem Glauben. Und dass er das den Kommilitonen im Wohnheim nicht plausibel machen kann, quält ihn. Wozu studiert er dann Theologie, wenn er nicht einmal das erklären kann? Irgendwie ist das auch eine Frage der Ehre für ihn.
Aber was ist das, sein Glaube? Wie soll er das erklären? Er ist keine bloße Meinung von etwas, soviel ist klar. Auch keine Überzeugung, für die man keine Beweise hat, auch wenn das sein Gesprächspartner vielleicht so sieht. Was ist es dann? Ein Gefühl? Ja schon eher, aber nicht nur. Es ist wie eine Begegnung mit jemandem, wie, wenn Gott selber da ist. Schwer zu erklären. In der Theologie spricht man vom Heiligen Geist. Aber erklär das mal jemandem, der damit nichts anfangen kann.
III
Matthias sagt, er wolle nicht, dass sein Sohn später mal sein Weltbild aus einem 2000 Jahre alten Märchenbuch beziehen muss. Das will Amelie natürlich auch nicht für Finn. Aber sie will, dass er getauft wird. Das ist ihr wichtig. Aber warum eigentlich genau?
Sie will ihm etwas mitgeben, etwas, das auch ihr mitgegeben worden ist. Etwas, das sie immer begleitet hat, auch wenn es ihr nicht immer gleichmäßig wichtig war. Als besonders fromm würde Amelie sich nicht bezeichnen. Eine Zeitlang hat sie sogar gegen die Kirche und den christlichen Glauben, wie er zu Hause gelebt wurde, rebelliert. Mittlerweile hat sie sich wieder ein wenig angenähert, auch wenn die längst nicht jeden Sonntag in den Gottesdienst geht.
Dass Matthias nicht in der Kirche ist, war nie ein Problem für sie. Zum Thema wurde das erst, als Finn kam. Matthias sagt, er versteht nicht, warum man ein kleines Kind taufen muss. Er denkt da sofort an religiöse Indoktrination, befürchtet, dass Finn in jungem Alter einseitig beeinfluss wird. Und selbst wenn das nicht so ist, wenn es Finn nicht schadet, wozu soll es gut sein? Wäre es nicht am besten, ihn später selbst entscheiden zu lassen, ob er in der Kirche sein möchte?
Ja, aber auf welcher Grundlage soll er das entscheiden? Amelie denkt an all die Erinnerungen, die Erlebnisse in der Gemeinde, die Geschichten, mit denen sie aufgewachsen ist: Kindergottesdienste, Krippenspiele, die Konfifahrten, an Psalm 23 z.B., „Der Herr ist mein Hirte“, wie ihr die Möglichkeit, ein Gebet zu sprechen, geholfen hat, als ihre Großmutter gestorben ist. Wenn sie all das nicht von Anfang an mitbekommen hätte, wahrscheinlich würde es ihr fehlen. Und deshalb will sie, dass es Finn es auch mitbekommt, um dann später selber zu entscheiden, was er damit macht.
IV
Am Morgen, oder vielmehr am späteren Vormittag, sitzt der Theologiestudent wieder in seinem Zimmer und arbeitet. Er übersetzt 1 Kor 2,4: „und meine Rede und meine Verkündigung waren nicht in überzeugender Weisheit, sondern im Beweis des Geistes und der Kraft“.
Was soll das heißen, im Beweis des Geistes? Bleibt also doch wieder nur der Verweis auf das unergründliche Walten des Heiligen Geistes, der die einen erleuchtet und die anderen nicht? Er denkt zurück an gestern Abend. Über überzeugende Weisheit hat er da anscheinend nicht verfügt. Aber Geist und Kraft waren auch nicht unbedingt auf seiner Seite, so scheint es ihm. Sonst hätte es ihm doch gelingen müssen, seinem Gesprächspartner klar zu machen, worum es ihm ging.
Er wendet sich wieder dem Text zu. Ein paar Verse weiter heißt es: „Der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.“ Das gefällt ihm besser. Das ständige Forschen und Suchen und Nachfragen, das passt auch zu seinem Studium.
Ist das vielleicht das Wirken des Geistes, das er sein Forschen und Nachfragen wachhält? Dass er ihn nicht plötzlich erleuchtet, ihm aber darauf zu vertrauen hilft, dass das Geheimnis Gottes wahr sein kann, auch wenn er es noch nicht durchschaut und nicht erklären kann?
Der Verweis auf ein Geheimnis, dem man nachspüren muss, ist auch nicht unbedingt ein vielversprechendes Argument für die nächste Diskussion im Partykeller. Andererseits sind alle diese Diskussionen über Gott und Glauben ja kein Schachspiel, bei dem man irgendwann so gut ist, dass man den Gegner schlagen kann. Sie sind vielmehr Teil einer Suche und im besten Fall kann man dem Gesprächspartner zeigen, warum man diese Suche für wichtig und aussichtsreich hält. Der Theologiestudent seufzt und macht sich wieder an die Übersetzung.
V
Bei seiner Predigt kommt es nicht darauf an, was Paulus kann. Nicht etwa, weil Paulus nichts könnte. Er kennt sich beispielsweise ausgezeichnet in der Bibel aus, kann aus dem Kopf daraus zitieren, ist versiert in theologischen Diskussionen. Er ist rhetorisch geschult, kann aus dem Stand eine Rede halten, wenn es darauf ankommt.
Und er hat nicht nur intellektuelle Qualitäten. Er ist hunderte Kilometer durch die Welt gereist. Er kennt sich in Jerusalem aus, in ganz Kleinasien, in Griechenland. Er kann einen Schiffskapitän davon überzeugen, einen beinahe mittellosen Reisenden mitzunehmen. Er kann Straßenräuber davon überzeugen, zumindest nur das Geld zu nehmen und den Reisenden laufen zu lassen statt ihn zum nächsten Sklavenmarkt zu schleppen.
Aber all das ist nur Mittel zum Zweck. Sobald er predigt, ist er schwach und unwissend. Das sagt er nicht nur immer wieder, um bescheiden zu wirken. Davon ist er wirklich überzeugt.
Und es ist sogar wichtig für ihn, dass es so ist. Nur so kann er sicher sein, dass es wirklich Gott ist, der durch ihn wirkt, dass es wirklich das Evangelium ist, das er verkündet. Man hat ihm oft vorgeworfen, selbstherrlich zu sein, autoritär, rechthaberisch. Da mag sogar etwas dran sein. Aber eins kann man ihm nicht vorwerfen: Es ist nicht die Kirche des Paulus, die er will, sondern die Kirche Jesu Christi.
Er weiß, dass er keine Kirche auf seinen eigenen Irrtümern aufbauen kann, aber er weiß auch, dass diese Irrtümer nicht ausbleiben werden. Er weiß, dass er Fehler macht, ohne es zu merken und dass es dazu kommen kann, dass diese Fehler in seinen Gemeinden weiterleben. Wenn es ganz schlimm kommt, können sie sogar zu Traditionen werden, die nur ganz schwer wieder loszuwerden sind.
Sicher, es ist ihm lieber, dass die Leute auf ihn hören, als auf irgendeinen anderen Scharlatan. Aber er weiß auch: Manchmal muss er selbst schwach sein, damit der Geist Gottes umso stärker sein kann. Das ist keine Ausrede, um die Hände in den Schoß zu legen. Der Geist braucht Paulus, mit seinen Fähigkeiten, mit seinen Anstrengung, sogar mit seinen Fehlern.
Aber bei wem seine Predigt letztlich etwas bewegt, wen sie näher zu Gott bringt, das liegt nicht in seiner Hand. Das kann allein der Geist bewirken.
Amen.
Jennifer Krumm